– Die mündliche Verhandlung vom 16.2.2016 belegt die vielfältigen Konflikte in der Frage der sog. Euro-Rettungsmaßnehmen –
Am Dienstag wurden in Karlsruhe vom 2. Senat des BVerfG unter Leitung dessen Gerichtspräsidenten Prof. Dr. Andreas Voßkuhle vier Verfassungsbeschwerden verhandelt, denen sich insgesamt fast 12.000 Bürger angeschlossen haben, sowie ein Organstreitverfahren. Eine Verfassungsbeschwerde wird maßgeblich auch von Prof. Dr. Dr. h.c. Joachim Starbatty geführt, der für ALFA Mitglied des EU-Parlamentes ist.
Inhalt der zur Verhandlung verbundenen Klagen war das OMT-Programm der EZB. In einer denkwürdigen Pressekonferenz im Juli 2012 hatte der EZB-Präsident Mario Draghi erklärt, die EZB werde alles für die Erhaltung des Euros Erforderliche tun („what ever it takes“). Diese wurde vom Markt als Andeutung unlimitierter Staatsanleihenkäufe der Krisenstaaten verstanden und führte in der Folge zu stark sinkenden Zinsen für Staatsanleihen. Am 6. September beschloss der EZB-Rat mit nur einer Gegenstimme die Outright Monetary Transactions als Instrument, wonach das Euro-System ermächtigt wird, Anleihen mit kurzlaufender Restlaufzeit selektiv von Staaten im Euro-Währungsverbund zu erwerben, die an einem Euro-Rettungsprogrammen (ESM oder ESFS) teilnehmen.
Bereits Anfang 2014 legte das Bundesverfassungsgericht dem Europäischen Gerichtshof mehrere Auslegungsfragen zwecks Vorabentscheidung vor. In dem Vorlagebeschluss führte das BVerfG aus, dass das OMT-Programm aus seiner Sicht die Kompetenzen der EZB überschreite, da es sich nicht mehr um geldpolistische, sondern aufgrund der stark gesunkenen Zinssätze für die Refinanzierung der Krisenstaaten vor allem um wirtschaftspolitische Maßnahmen handele. Dieses sei jedoch Aufgabe der nationalen Regierungen, die ihre Staatshaushalte in Ordnung bringen müssten. Zudem läge es nahe, dass mit dem OMT-Programm der EZB verbotene Staatsfinanzierung handele. Im Sommer 2015 urteilte der Europäische Gerichtshof unter Leitung seines griechischen Präsidenten, dass die EZB rechtmäßig handele. Hierbei ließ er sich von Ausführungen der EZB leiten, die gewisse Beschränkungen bei der Gestaltung der OMTs im konkreten Einzelfall nahelegen.
Die besondere Schwierigkeit für das Bundesverfassungsgericht besteht nun darin, dass auch die Frage im Raum steht, welches Gericht die Letztentscheidungskompetenz hat. Ist dies das Bundesverfassungsgericht, wenn es davon ausgeht, dass Europäische Angelegenheiten nur soweit gehen können, wie die nationalen Gesetzgeber die eigene Souveränität und Kompetenz abgeben wollten oder ist dieses der Europäische Gerichtshof, der nur sehr wenig Raum für nationale Gerichte in Europaangelegenheiten zu sehen scheint.
Bemerkenswert in der mündlichen Verhandlung war bereits zu Anfang, dass die Vertreter der Bundesregierung und des Bundestages die Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerden der Bürger bestritten und diese damit weitgehend rechtlos stellen wollten. Ein Weg, den das Bundesverfassungsgericht so nicht mitgehen zu wollen scheint. Soweit erkennbar, kann das BVerfG die von der EZB im Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof erklärten Grenzen für jedes OMT im Grundsatz akzeptieren. Die Vertreter der Verfassungsbeschwerden versuchten zu belegen, dass diese Einschränkungen in Wahrheit nicht bestehen. So sei ein Marktpreis für Staatsanleihen dann trotz einer gewissen Frist zwischen Emission und Erwerb auf dem Sekundärmarkt nicht mehr gegeben, da jedem Käufer der Emission klar sei, dass er die Staatsanleihe in einer Zahlungskrise des betreffenden Staates an die EZB verkaufen könne. Auch habe der Vertreter der EZB selbst ausgeführt, dass eine gewisse Flexibilität in Währungsfragen erforderlich sei und dieses sich nicht nach belastbaren Grenzen anhöre.
Für problematischer hielt das Verfassungsgericht die sog. Kompetenz-Kompetenz, die die EZB für sich beansprucht, d.h. die Kompetenz, durch eigene Erklärung ein Rechtsgebiet so zu definieren, dass es unter die eigene Hoheit fällt. Angesichts der nur sehr geringen demokratischen Legitimation der EZB aufgrund ihrer weitgehenden Selbständigkeit und Unabhängigkeit, dürfe sie nur in einem streng geregelten Auftrag tätig werden und könne sich diesen nicht selbst schaffen, lautete eine These der Verfassungsrichter. Wiederum kam Widerspruch zu dieser Auffassung vor allem von den Vertretern des Bundestages, welcher den ehemaligen saarländischen Ministerpräsidenten und heutigen Verfassungsrichter Peter Müller zu der provokanten Frage bewog, ob nach Auffassung des Bundestages der Grundsatz „Not kennt kein Gebot“ gelten solle.
Trotz des offenkundigen Bemühens des Bundesverfassungsgerichts, europafreundlich zu agieren und das kollegiale Verhältnis zum Europäischen Gerichtshof nicht aufs Spiel zu setzen, ließen die Fragen des Senats durchaus die Zweifel erkennen, ob eine unbedingte Euro-Rettung, der die Einhaltung rechtlicher Maßstäbe untergeordnet wird, ausreichend demokratisch legitimiert werden kann.
„Für ALFA ist es selbstverständlich, dass der von den Bürgern erkämpfte Rechtsstaat nicht auf dem Altar eines Euros geopfert werden darf, der Staaten mit unterschiedlicher Tradition des Wirtschaftens zum wechselseitigen Schaden zusammenzwingt“, sagte Petra Coenders, Dipl. Kauffrau und Dipl. Volkswirtin sowie ALFA-Kandidatin für den Wahlkreis Breisgau, am Dienstag nach der Verhandlung in Karlsruhe.