Rechtsstaat unter Druck

-Momentaufnahmen aus Justiz, Polizei und Zoll-

von Petra Coenders und Christian Dettenhammer

Erster Teil Justiz

Seit vielen Jahren beschäftigen unsere Bürger die Themen der inneren Sicherheit, der Kriminalität und die Arbeit der deutschen Justiz. Sorge um die Zukunft des Rechtsstaats, der eigenen Sicherheit und Empörung über Missstände prägen zunehmend die Diskussionen unserer Bürger. Diese Sorgen erreichen die politischen Eliten häufig nicht mehr.

In den Augen eines immer größer werdenden Teils der Bevölkerung geht die Justiz zu nachsichtig mit den vielen Tätergruppen um.

 

Jugendliche und junge Erwachsene

Haftstrafen werden auch bei Mehrfachtätern und z.B. Körperverletzungsdelikten viel zu oft zur Bewährung ausgesetzt. Bei Mehrfachtätern im Bereich Diebstähle und Sachbeschädigungen werden nur selten Haftstrafen ausgesprochen.

Die Urteile haben dabei kaum abschreckende Wirkung. Oft wird – ohne dass dieses ernstlich nachprüfbar ist – von einer schweren Kindheit und sonstigen schwierigen kulturellen oder psychologischen Verhältnissen sowie einer „guten Sozialprognose“ des Täters gesprochen und dies dann als Argument gegen eine Haftstrafe ohne Bewährung ins Feld geführt. Über die Folgen für die Kriminalitätsopfer wird hingegen zu wenig gesprochen.

Die deutsche Justiz will in weiten Teilen nicht anerkennen, dass wir es heute zunehmend mit Tätern zu tun haben, die unser tolerantes Gesellschaftssystem gnadenlos und organisiert ausnutzen. Das fängt bei mangelndem Respekt vor Lehrern in der Schule an und endet in einem kriminellen Milieu, das der Polizei auf der Nase herumtanzt, weil diese wenig Rückendeckung bekommt, sich nachhaltig durchzusetzen.

Dieses „Alleingelassen fühlen“ kennen auch Lehrer, vor allem weibliche, die in sozialen Problemvierteln in Schulen mit hohem Ausländeranteil unterrichten. Was sich hier abspielt hat mit geordnetem Unterricht nicht mehr viel zu tun. Die Folgen sind oft der direkte Einstieg in die Kriminalität, in den Hartz IV-Pfad oder in den Salafismus oder in eine Kombination der Bereiche. Von einem Zweckoptimismus ist man hier bei den Beschäftigten weit entfernt. „Wir schaffen das“ ist hier an den Brennpunkten vor Ort nicht oft zu hören.

Die Zeit von der Begehung der Tat bis zur Verurteilung dauert häufig zu lange. Besonders bei Jugendlichen müsste viel schneller geurteilt werden. Die Anwendung von Jugendstrafrecht bei z.B. 19-Jährigen sollte die Ausnahme sein und damit dem Selbstbild der jungen Erwachsenen entsprechen. In Deutschland ist es aber die Regel. In Hamburg beispielsweise werden 87 % der 18-20 jährigen nach Jugendstrafrecht verurteilt.

Gerichtlich verordnete Sozialstunden sind für einen 15 jährigen Intensivtäter als Abschreckung denkbar ungeeignet. Gesetzlich bestehen allerdings kaum weitere Möglichkeiten, da die Verhängung von Freiheitsstrafen vor Vollendung des 16. Lebensjahres nicht zulässig ist.

Viele Intensivtäter beginnen ihre Karriere bereits als 13-Jährige und sind in ihren Stadtvierteln bereits als Schläger oder Seriendiebe bekannt. Organisierte Banden bedienen sich bewusst nicht strafmündiger Täter, da deren Ergreifung in aller Regel folgenlos bleibt. Bei Intensivtätern müssen sich Politik und Justiz von dem idealisierten Menschenbild verabschieden, auf diese Weise eine nachhaltige Besserung der Personen erreichen zu können.

Aus der Sicht von ALFA kann die Lösung bei jugendlichen Tätern nur lauten: Schnelle Sanktionen, die mit Betreuungsmaßnahmen therapeutischer und erzieherischer Art kombiniert werden.

Die Gerichte müssen personell so ausgestattet werden, dass eine zeitnahe Durchführung von Verhandlungen und Prozessen möglich ist. Es muss die gesetzliche Möglichkeit geschaffen werden, den schier endlosen Verzögerungstaktiken der Verteidiger Einhalt gebieten zu können.

 

Sonderrechte für Ausländer?

In Deutschland neigen einzelne Gerichte auch heute noch dazu, das subjektive Verständnis von Ausländern aus anderen Kulturkreisen als strafmildernd zu berücksichtigen. Diese Urteile untergraben bei denen Ausländer aufgrund ihrer nach westlichem Verständnis antiquierten Vorstellungen über Ehre, Moral oder Rache gegenüber Inländern bevorzugt werden, den rechtsstaatlichen Konsens auf der Basis des Grundgesetzes. ALFA begrüßt ausdrücklich, dass beispielsweise Ehrenmorde vermehrt als Mord (und nicht mehr nur als kulturbedingter Totschlag) bestraft werden.

Nach § 14 Aufenthaltsgesetz ist die unerlaubte Einreise, die insbesondere dann, wenn die Einreise ohne Ausweispapiere oder Aufenthaltstitel (z.B. Visum) erfolgt, mit Geldstrafe oder Freiheitsentzug bis zu einem Jahr zu bestrafen. Die Verfahren werden entsprechend einer Antwort der Bundesregierung zu über 99% ohne weitere Ermittlungen eingestellt. Das Land Berlin hat sogar angeordnet, keine Anzeigen mehr zu erstatten, da diese ohnehin nach kürzester Zeit im Schredder landen würden. Für ALFA ist es nicht akzeptabel, dass geltendes Recht im Zusammenhang mit illegaler Einreise nicht angewandt wird, da dieses zur Erosion des Rechtsstaats führt. Wenn die etablierten Parteien und die Justiz die illegale Einreise nicht mehr als strafbar ansehen wollen, muss das Gesetz geändert werden. Die politischen Eliten schulden den Bürgern Ehrlichkeit gerade dann, wenn sie wissen, dass ihre Meinung nicht mehrheitsfähig ist.

 

Symptome der Überlastung

Bei einem Großteil der sogenannten Bagatellvergehen wird das Strafverfahren ohne Geldstrafe nach § 153 (1) und 153 a der Strafprozessordnung das Verfahren eingestellt. Nach Zahlung einer Geldauflage gilt der Beschuldigte als „nicht bestraft“. Das ist für die Justiz bequem, da es die Verfahren abkürzt und die Täter in der Regel mit diesen Entscheidungen einverstanden sind. Es kann auch als eine Art „Freikaufen“ angesehen werden.

Hier müsste man wieder zu mehr Geldstrafen mit verhängten Strafbefehlen übergehen, bei denen auch eine Schuld festgestellt und dokumentiert wird.

Vergleichbare Probleme bestehen im Bereich der organisierten Kriminalität und der Wirtschaftskriminalität, da hier häufig sehr große Ermittlungskapazitäten gebunden werden müssen, die angesichts der über Jahrzehnte ausgedünnten Polizeistärke nicht mehr zur Verfügung stehen. Auch hier gibt es eine Art „Freikaufen“, wenn sich Täter nach Verhandlungen ihrer Rechtsanwälte mit der Staatsanwaltschaft in Teilbereichen schuldig bekennen und in anderen Teilbereichen die Verfahren eingestellt werden.

Es scheint so, als ob Politik und Justiz nicht erkannt hätten, dass eine strikte Anwendung der Gesetze die Voraussetzung der Rechtsstaatlichkeit sind. Die bei Problemgruppen zu erkennenden Durchsetzungsmängel, die zu Parallelgesellschaften geführt haben, gefährden die Akzeptanz unseres demokratischen Systems bei der Mehrheit der Bürger, die für Kleinigkeiten wie z.B. Geschwindigkeitsüberschreitungen ohne Gefährdungen Dritter bereits vergleichsweise hart bestraft werden. Hier entsteht oft der Eindruck, dass diejenigen, die im Grundsatz rechtstreu sind, mit weniger Arbeitsaufwand zu maßregeln sind als Intensivtäter und daher schneller verfolgt werden.

Demgegenüber ist die verbreitet zu hörende Forderung nach „härteren“ Gesetzen im Strafrecht häufig unnötig, da die Strafrahmen zumeist ausreichend sind. Diese Rahmen werden jedoch sehr selten ausgeschöpft. Die Gerichte orientieren sich meist eher in unteren Bereichen des möglichen Strafmaßes. Lediglich bei Steuerdelikten wird inzwischen ein massiver Verfolgungsdruck auch mit hohen Strafen erzeugt. Eine Körperverletzung mit Todesfolge führt bei Fahrlässigkeit in aller Regel zu einer Bewährungsstrafe, eine Steuerhinterziehung ab 1 Mio. EUR in aller Regel zu einer mindestens 2-jährigen Haftstrafe.

In Hamburg, Bremen und Berlin verhängten Strafen sind häufig niedriger als für gleichartige Taten in Bayern. Auch dieses untergräbt das Gefühl der Bürger, das jedermann vor dem Gesetz gleich ist und wirft ein fragwürdiges Licht auf unseren Föderalismus.

 

Arbeitsbedingungen der Justiz

Die Sicht der Richter und Staatsanwälte zeigt ein internes Papier, das MDR Info vorliegt, wonach diese Ermittler bei ihren Arbeitsbedingungen längst von einem Notstand sprechen. So habe sich z.B. in Brandenburg das auszuwertende Volumen bei Computerdaten innerhalb von 5 Jahren verdoppelt, im Mobilfunkbereich sogar verachtfacht.

Sichergestellte Beweismittel wie Computer und Handys werden teilweise ungeprüft zurückgegeben, weil die Untersuchungen zu lange gedauert hätten. Verfahren seien wegen Fristverstößen geplatzt. Ergebnisse liegen teils so spät vor, dass sie bei Tötungsdelikten dem zuständigen Gericht erst nach der Anklageerhebung vorgelegen haben.

Zudem würden Staatsanwälte immer öfter private Institute beauftragen, um Gutachten für Strafverfahren zu erstellen.

In einer Allensbach-Umfrage gaben 72 % dieser Berufsgruppe an, dass sich die Bedingungen für eine gute Rechtssprechung in den letzten Jahren verschlechtert haben. 85 % beklagten die personelle Ausstattung der Gerichte und Zeitprobleme bei der Bearbeitung der Fälle.

ALFA setzt sich für eine deutliche Personalaufstockung von Staatsanwaltschaften und Gerichten ein. Ein schlanker Staat ist zwar schön, darf aber nicht zum Selbstzweck verkommen. Ein moderner Staat darf seine Schutzfunktion für den Bürger bereits aus demokratietheoretischen Erwägungen nicht vernachlässigen. Die einzige Rechtfertigung für das Gewaltmonopol des Staates liegt darin, dass der Staat die Bürger schützt. Wenn dieses einem Staat nicht mehr möglich ist, verliert er zugleich seine Existenzberechtigung.